PROF. DR. RAUCH & PARTNER
KANZLEI FÜR BAU-, ARCHITEKTEN- UND VERGABERECHT

Das Urteil des EuGH vom 04.07.2019 zur HOAI – Inhalt und Tragweite

Der EuGH hat am 04.07.2019 im Verfahren C – 377/17 das lang erwartete Urteil zur HOAI verkündet.

Das Urteil wird hinsichtlich seiner Auswirkungen von Seiten öffentlicher Auftraggeber, Architekten- und Ingenieurverbänden, Anwaltskanzleien und sonstiger Interessierter oder Betroffener analysiert. In Teilbereichen gibt es unterschiedliche Auffassungen, nachfolgende Ausführungen geben die Meinung des Unterzeichners wieder.

Es stellen sich eine Reihe von Fragen, u. a.:

– Was ist der genaue Inhalt des Urteils?
– Ab wann entfaltet das Urteil seine Wirkungen?
– Welche Rechtswirkungen entfaltet das Urteil?
– Was konkret folgt aus dem Urteil?
– Welchen Zeitraum wirkt das Urteil zurück?
– Mit welchem Inhalt können künftig Honorarvereinbarungen geschlossen werden?
– Gelten die formellen Honorarvorschriften fort?
– Welche Auswirkungen hat das Urteil auf die Vergabeverfahren öffentlicher Auftraggeber?
– Wie wirkt sich das Urteil auf die Schwellenwertberechnung aus?
– Hat das Urteil Auswirkungen auf die Leistungspflichten der Architekten und Ingenieure?

1. Der Inhalt des Urteils

Der Tenor des Urteils lautet:

„Die Bundesrepublik Deutschland hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 15 Abs. 1, 2 g und Abs. 3 Richtlinie 2006/123/EG verstoßen, dass sie verbindliche Honorare für Planungsleistungen von Architekten und Ingenieuren beibehalten hat.“

Die HOAI sieht in § 7 Abs. 3 vor, dass die in der Verordnung festgesetzten Mindestsätze durch schriftliche Vereinbarungen in Ausnahmefällen unterschritten werden können und in Abs. 4, dass die in der Verordnung festgesetzten Höchstsätze nur bei außergewöhnlichen oder ungewöhnlich lange dauernden Grundleistungen durch schriftliche Vereinbarung überschritten werden dürfen.

Der EuGH stellt in seinem Urteil fest, dass die in der HOAI festgelegte Pflicht zur Einhaltung der Höchst- und Mindestsätze einen Verstoß gegen die Dienstleistungsrichtlinie und die Niederlassungsfreiheit darstellt.

Es handelt sich um die Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt.

In Art. 15 dieser Richtlinie heißt es:

„(1) Die Mitgliedstaaten prüfen, ob ihre Rechtsordnungen die in Abs. 2 aufgeführten Anforderungen vorsehen und stellen sicher, dass diese Anforderungen die Bedingungen des Abs. 3 erfüllen. Die Mitgliedstaaten ändern ihre Rechts- und Verwaltungsvorschriften, um sie diesen Bedingungen anzupassen.

(2) Die Mitgliedstaaten prüfen, ob ihre Rechtsordnung die Aufnahme oder Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit von folgenden nicht-diskriminierenden Anforderungen abhängig macht:

………………….

g) Der Beachtung von festgesetzten Mindest- und/oder Höchstpreisen durch den Dienstleistungserbringer;

………………….

(3) Die Mitgliedstaaten prüfen, ob die in Abs. 2 genannten Anforderungen folgende Bedingungen erfüllen:

a) Nicht-Diskriminierung: Die Anforderungen dürfen weder eine direkte noch eine indirekte Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit oder – bei Gesellschaften – aufgrund des Orts des satzungsmäßigen Sitzes darstellen;

b) Erforderlichkeit: Die Anforderungen müssen durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein;

c) Verhältnismäßigkeit: Die Anforderungen müssen zur Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Zieles geeignet sein; sie dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist; diese Anforderungen können nicht durch andere, weniger einschneidende Maßnahmen ersetzt werden, die zum selben Ergebnis führen.“

Der EuGH kommt im Rahmen seiner Prüfung zu dem Ergebnis, dass die verbindlichen Honorare der HOAI gegen die Richtlinie aus dem Jahr 2006 verstoßen und deshalb die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet gewesen wäre, die diesbezüglichen Rechtsvorschriften der HOAI zu ändern. Die Bundesrepublik Deutschland hat damit gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 15 Abs. 1, 2 g und Abs. 3 der Richtlinie verstoßen.

Der EuGH hat also nicht etwa den Mindest- und Höchstpreischarakter der HOAI für unwirksam erklärt und schon gar nicht die HOAI für unwirksam erklärt. Der EuGH stellt vielmehr lediglich fest, dass die Bundesrepublik Deutschland ihre vertraglichen Verpflichtungen gemäß der Richtlinie 2006/132/EG verletzt hat, indem es den Mindest- und Höchstpreischarakter der HOAI beibehalten hat. Diese Feststellung des EuGH beruht aber auf seiner rechtlichen Beurteilung, dass der Mindest- und Höchstpreischarakter der HOAI Art. 15 der Richtlinie widerspricht.

Dennoch aber hat das Urteil unmittelbare Rechtswirkungen für die Praxis, wie nachfolgend dargestellt wird.

2. Wann entfaltet das Urteil seine Wirkungen?

Die Entscheidung des EuGH gilt ab ihrer Verkündung, also ab 04.07.2019. Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.

3. Welche Rechtswirkungen entfaltet das Urteil?

Jedes nationale Gericht muss in einem Rechtsstreit prüfen, ob das verbindliche Preisrecht der HOAI mit Art. 15 der Dienstleistungsrichtlinie vereinbar ist. Darauf hat schon der Generalanwalt im Rahmen seines Schlussantrags vom 28.02.2019 hingewiesen:

25. Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass Art. 15 der Richtlinie 2006/123, obwohl er in Form einer Prüfpflicht an die Mitgliedstaaten gerichtet ist, unmittelbar anwendbar ist und den Mitgliedstaaten von Einzelpersonen entgegengehalten werden kann.“

Der EuGH hat in seinem Urteil vom 30.01.2018 (Rs. C – 360/15) entschieden:

„…. dieser Art. 15 entfaltet insoweit unmittelbare Wirkung, als er in Absatz 1 S. 2 den Mitgliedstaaten die unbedingte, hinreichend präzise Verpflichtung auferlegt, ihre Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu ändern, um sie den in Abs. 3 genannten Bedingungen anzupassen………“

Nun hat der EuGH in seinem Urteil festgestellt, dass das verbindliche Preisrecht der HOAI EU-rechtswidrig ist. EU-Recht ist höherrangiges Recht, das dem deutschen Recht vorgeht. Diese unmittelbare Wirkung, die der EuGH beschreibt, soll auch „horizontal“ gelten, also auch im Verhältnis von Bürgern bzw. Zivilrechtssubjekten untereinander.

Die deutschen Gerichte werden also unter Bezugnahme auf das Urteil des EuGH in einem Rechtsstreit, in dem es um das verbindliche Preisrecht der HOAI geht (der Architekt beruft sich in einer Honorarklage auf die Unwirksamkeit einer Honorarvereinbarung wegen Mindestsatzunterschreitung oder der Bauherr beruft sich in einem Rechtsstreit auf die unzulässige Überschreitung des Höchstsatzes) zu dem Ergebnis kommen, dass das verbindliche Preisrecht der HOAI nicht wirksam ist, weil es gegen die Richtlinie verstößt.

4. Was konkret folgt aus dem Urteil?

Der verbindliche Preisrahmen in § 7 Abs. 1 HOAI ist unanwendbar.

Ein Architekt oder Ingenieur kann kein höheres Honorar als vertraglich vereinbart verlangen mit der Begründung, die Honorarvereinbarung sei wegen Unterschreitung der Mindestsätze unwirksam und deshalb beanspruche der Architekt nunmehr die Mindestsätze.

Ein Auftraggeber kann sich gegen eine Honorarklage des Architekten / Ingenieurs nicht mit dem Argument verteidigen, die Honorarvereinbarung, auf die sich der Architekt / Ingenieur bezieht, würde in unzulässiger Weise die Höchstsätze überschreiten.

Durch das Urteil ist Rechtssicherheit eingetreten. Sowohl der Bauherr wie auch der Planer kann sich darauf verlassen, dass das, was vertraglich vereinbart wurde, auch rechtswirksam ist. Durch das Urteil besteht also hinsichtlich der Altverträge keinerlei Handlungsbedarf.

5. Welchen Zeitraum wirkt das Urteil zurück?

Die Richtlinie stammt von Dezember 2006. Seither verstößt also das verbindliche Preisrecht der HOAI gegen EU-Recht.

Das Urteil betrifft also alle Rechtsfälle, die auf einem Architekten- oder Ingenieurvertrag beruhen, der seit Dezember 2006 geschlossen wurde.

Beispiel:

Ein Architektenvertrag wurde 2009 geschlossen. Die Honorarvereinbarungen in diesem Vertrag führen zur Unterschreitung des zutreffenden Mindestsatzes. Ein Rechtsstreit, in dem sich der Architekt auf das Honorar nach den höheren Mindestsätzen beruft ist noch im Jahr 2019 anhängig. Das Gericht wird jetzt aufgrund der Entscheidung des EuGH zu dem Ergebnis kommen, dass die die Mindestsätze unterschreitende Honorarvereinbarung wirksam ist und die Klage abweisen.

6. Mit welchem Inhalt können künftig Honorarvereinbarungen geschlossen werden?

Hinsichtlich des Inhalts von Honorarvereinbarungen gibt es künftig keine Beschränkungen mehr (mit Ausnahme die Honorarvereinbarung wäre sittenwidrig). Die verbindlichen Preisvorschriften der HOAI haben deshalb künftig denselben rechtlichen Stellenwert wie die Honorarregelungen der Beratungsleistungen der HOAI. Nachdem es keine Beschränkungen mehr gibt, also im Rahmen der guten Sitten Vertragsfreiheit besteht, kann man natürlich auch ein Honorar vereinbaren, da den (nun nicht mehr verbindlichen) Honorarparametern der HOAI entspricht; was vereinbart ist, ist dann auch gültig.

7. Gelten die formellen Honorarvorschriften fort?

Die Formvorgaben der HOAI (dass Honorarvereinbarungen zu ihrer Wirksamkeit schriftlich und bei Auftragserteilung geschlossen werden müssen) gelten fort.

Eine mündliche Honorarvereinbarung ist also nach wie vor unwirksam. Kontrovers diskutiert wird derzeit, ob dann § 7 Abs. 5 eingreift, wonach unwiderleglich vermutet wird, dass die jeweiligen Mindestsätze gemäß § 7 Abs. 1 vereinbart sind oder ob das „ortsübliche Honorar“ geschuldet ist.

Kommt man zu dem Ergebnis, dass dann die Mindestsätze gemäß § 7 Abs. 1 gelten sollen, so könnte dies eine Umgehung der Richtlinie bzw. des Urteils sein. Es wird also wohl das „ortsübliche Honorar“ gelten, was immer das auch ist.

Wenn also von den Mindestsätzen nach unten abgewichen werden soll, ist dringend zu raten, eine schriftliche Honorarvereinbarung und zwar bei Auftragserteilung zu schließen. Ist keine Honorarvereinbarung geschlossen, wird wieder das ortsübliche Honorar zu beanspruchen sein, nicht aber zwingend die Mindestsätze. Aufgrund der Tatsache, dass die Unterschreitung der Mindestsätze durchaus nicht unüblich ist, wird man nicht davon ausgehen können, dass die Mindestsätze das ortsübliche Honorar darstellen, darüber kann man natürlich diskutieren.

8. Welche Auswirkungen hat das Urteil auf die Vergabeverfahren öffentliche
Auftraggeber?

Nachdem aufgrund des EuGH-Urteils eine Honorarvereinbarung, die die Mindestsätze unterschreitet unwirksam ist, ist es nicht mehr geboten, bei Ausschreibungen Honorarparameter vorzugeben. Der Auftraggeber kann sich deshalb von den Teilnehmern des Wettbewerbs beispielsweise auch die Honorarzone anbieten lassen. Er muss (und kann) einen Bieter nicht mehr ausschließen mit dem Argument, es seien die Mindestsätze in unzulässiger Weise unterschritten worden.

So hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie bereits mit Schreiben vom 04.07.2019 darauf hingewiesen, dass das Urteil insbesondere die Folge hat, dass die öffentlichen Stellen in Deutschland aufgrund des Anwendungsvorrangs des Europarechts verpflichtet sind, ab sofort die für Europa rechtswidrig erklärten Regelungen der HOAI nicht mehr anzuwenden. Daher dürfe beispielsweise bei der Vergabe öffentlicher Aufträge über Architekten- oder Ingenieurleistungen der Zuschlag nicht mehr aufgrund der Tatsache verweigert werden, dass die angebotenen Preise unterhalb der Mindesthonorarsätze oder oberhalb der Höchsthonorarsätze der HOAI liegen.

Der öffentliche Auftraggeber muss daher „lediglich“ noch prüfen, ob das angebotene Honorar auskömmlich ist.

Die VgV erlaubt es in § 58 Abs. 2 S. 3 sogar, dass der öffentliche Auftraggeber Festpreise vorgeben kann, sodass das wirtschaftlichste Angebot ausschließlich nach qualitativen, umweltbezogenen oder sozialen Zuschlagskriterien bestimmt wird. Daher wird es auch zulässig sein, dass der öffentliche Auftraggeber einen festen Preisrahmen vorgibt. Dieser Preisrahmen könnte dann wieder die HOAI sein, allerdings kann man darin wieder eine Umgehung des EuGH-Urteils sehen.

Was aber jedenfalls zulässig sein dürfte, ist die Vorgabe eines Berechnungshonorars nach HOAI. Also wie bisher Vorgabe der Honorarzone, z. B. auch des Umbauzuschlags, der Höhe der Nebenkosten und einen frei kalkulierbaren Abschlag von den Mindestsätzen oder Zuschlag zu den Höchstsätzen.

9. Wie wirkt sich das Urteil auf die Schwellenwertberechnung aus?

Das Urteil hat derzeit noch keine Auswirkungen auf die Schwellenwertberechnung. Alleine die Tatsache, dass ein niedrigeres Honorar als das der Mindestsätze der HOAI vereinbart werden kann, bedeutet ja noch nicht, dass die Unterschreitung der Mindestsätze der HOAI „ortsüblich“ wäre.

Ob die Honorare künftig aufgrund des Urteils sinken werden, wird sich zeigen, jedenfalls muss man jetzt noch davon ausgehen, dass seitens der Architekten und Ingenieure Honorare angeboten werden, die den Mindestsätzen entsprechen. Bei der Schwellenwertberechnung geht es ja darum zu prognostizieren, was voraussichtlich der Auftragswert sein wird.

10. Hat das Urteil Auswirkungen auf die Leistungspflichten der Architekten und Ingenieure?

Keineswegs. Die Leistungspflichten ergeben sich aus der konkreten vertraglichen Vereinbarung. Wenn zur Definition der Leistungsverpflichtung auf ein Leistungsbild der HOAI Bezug genommen wird, gilt nach wie vor, dass die einzelnen Grundleistungen der jeweiligen Leistungsphase des entsprechenden Leistungsbildes zu erfüllen und abzuarbeiten sind. Das Urteil wirkt sich lediglich auf der Honorarseite aus.

Regensburg, den 12.07.2019

Prof. Dr. Bernhard Rauch

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